Die positive Kraft der Dankbarkeit

Im Englischen gibt es die Redewendung: to count one’s blessings, das heißt wörtlich: seine Segnungen zählen. Gemeint ist, dankbar auf das zu blicken, was man hat. Der Ausdruck gefällt mir, weil er deutlich macht, dass ich mich ganz bewusst auf das konzentrieren kann, was gut in meinem Leben ist – ich kann es „zählen“, indem ich es mir vor Augen halte. Und gleichzeitig schwingt in den „blessings“ mit, dass vieles von dem, was mein Leben reich macht, nicht als eigener Verdienst zu werten ist, sondern mir von außen her zufällt.



Zwar bemühe ich mich nach besten Kräften darum, mein Leben gut und sinnvoll zu gestalten, doch ich habe keine Garantie für das Gelingen. Es hängt von zu vielen Faktoren ab, die ich nicht in der Hand habe.

Ein frohes Miteinander in der Familie zu erleben, gesund zu sein, Freunde zu haben, an manchen Stellen gebraucht zu werden, das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich erlebe es als Segen und Geschenk. Das gilt auch für viele kleine Glücksmomente, die sich ohne mein Zutun ereignen – ein unerwarteter Postkartengruß von einer Freundin, wärmende Sonnenstrahlen an einem Wintertag, mein Lieblingssong im Radio, das freundliche Lächeln der Nachbarin, Hilfe, die genau im richtigen Moment kommt, ein seltener Schmetterling in meinem Garten.


Jeden Tag gibt es unzählige Gelegenheiten, sich zu freuen. Zweifellos gibt es auch unzählige Gelegenheiten, sich zu ärgern. Wie ich durch den Tag gehe, hat letztendlich mit meiner persönlichen Einstellung zu tun.

„Ich kann mich ärgern, aber ich bin nicht verpflichtet dazu“, sagt meine Mutter immer. Ich kann mich an den Dingen aufhalten, die nicht meinen Wünschen und Vorstellungen entsprechen. Ich kann neidisch auf das scheinbar so viel bessere Leben anderer Menschen schauen. Ich kann mir große Sorgen machen über Schwierigkeiten und Nöte, die eines Tages auf mich zukommen könnten. Ich kann über Fehlentscheidungen und vertane Chancen brüten. All das kann ich. Aber ich bin nicht verpflichtet dazu.

Ich habe mich entschieden, meine „Segnungen zu zählen“ und dankbar für das zu sein, was ich habe. Dies hilft mir, ganz in der Gegenwart und bei mir selbst zu sein, und verleiht mir so einen inneren Halt.  Man könnte das mit dem Kiel eines Segelbootes vergleichen. Er ragt tief und schwer ins Wasser und stabilisiert das Gleichgewicht des Schiffes, sodass es auch bei stürmischer See nicht umkippt. In ähnlicher Weise kann mich eine von Dankbarkeit geprägte Wahrnehmung davor bewahren, bei Fehlschlägen und Enttäuschungen emotional unterzugehen.


Es ist ja nicht so, dass meine Lebensumstände rundherum großartig wären. So mancher Punkt macht mir zu schaffen, ganz besonders, wenn ich in die Falle tappe, mich mit anderen zu vergleichen. Es gibt immer Menschen, die es in der einen oder anderen Hinsicht besser getroffen haben. Ein bewusster Blick auf die vielen guten Gründe, nicht zu jammern, wirkt wie ein Schutzschild gegen das bittere Gefühl, benachteiligt zu sein. Auch die Einsicht, dass das menschliche Leben immer aus einer Kombination von positiven und negativen Aspekten besteht, ist eine gute Arznei gegen Neid und Unzufriedenheit. Wenn ich mich frage, ob ich wirklich das Gesamtpaket meines Lebens mit dem eines anderen tauschen wollte, merke ich schnell, dass ich doch am liebsten in meiner eigenen Haut stecke.


Dazu habe ich einmal nette kleine Geschichte gehört: Ein Mann beklagt sich darüber, dass Gott ihm ein zu schweres Kreuz auferlegt hat. Gott hat Erbarmen mit ihm. Er führt den Mann in einen Raum, in dem alle Kreuze der Welt aufgereiht sind, und erlaubt ihm, sich ein anderes auszusuchen. Der Mann begutachtet sie alle, doch an jedem gibt es etwas, das ihm nicht zusagt. Das eine ist zu lang, das andere zu rau, das dritte drückt an den Schultern. Endlich findet er in einer Ecke ein Kreuz, das wie geschaffen für ihn ist. Freudig wählt er es für sich aus. Und als er genauer hinschaut, entdeckt er, dass es sein altes Kreuz ist, das Gott ihm ursprünglich gegeben hat!


Es gibt niemanden, der nicht sein Kreuz – oder wie man auch sagt, sein Päckchen – zu tragen hätte. Deshalb ist es ratsam, daraus so gut wie möglich eine Nebensache zu machen und stattdessen das Hauptaugenmerk auf die Segnungen zu richten, die großen und kleinen Freuden des Alltags. Daraus erwächst ein Reichtum, den mir niemand nehmen kann. Die positive Kraft der Dankbarkeit verwandelt mein Leben in etwas Wunderbares, wenn ich ein grundlegendes Ja zu meinen Umständen finde, mich von Widrigkeiten nicht entmutigen lasse und das Schöne und Gute wie ein Geschenk entgegennehme. 

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