Bedeutungsvoll leben 

Du zeigst mir den Pfad zum Leben. Vor deinem Angesicht herrscht Freude die Fülle, zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit.

Psalm 16,11

"Du zeigst mir den Pfad zum Leben", sagt David und spricht damit eine Sehnsucht an, die die Menschen umtreibt, seit sie aus dem Paradies vertrieben wurden.


Unser Leben ist begrenzt. Wir wissen, dass jeder Moment, der verstreicht, uns unserem Tod näher bringt. Daraus erwächst das Bedürfnis, möglichst viel aus diesem Leben zu machen. Der russische Dichter Iwan Turgenjew sagt: "Man müsste das Leben so einrichten, dass jeder Augenblick bedeutungsvoll ist."


Das klingt gut, aber wie sollen wir es verwirklichen? Die Welt lebt nicht nur von den bedeutenden Augenblicken, in denen die Glühbirne erfunden, ein Krieg beendet, ein neues Medikament gegen Krebs entwickelt wird. Damit das geschehen kann, braucht es viele Menschen, die einfach nur ihre gewöhnliche Pflicht tun und dafür sorgen, dass Häuser wohnlich sind, Geld auf dem Konto landet, genug zu essen da ist. Kinder müssen versorgt und begleitet werden, im Krankenhaus muss jemand die Betten umher schieben und im Büro muss einer die Briefe tippen. Oft höre ich von Frauen, die ihren interessanten Beruf aufgegeben haben und jetzt für den Haushalt zuständig sind: "Ich möchte so gern etwas Sinnvolles tun." Zwar bestreitet niemand, dass Putzen und Kochen sinnvoll sind, aber gemeint ist eine bedeutungsvollere Tätigkeit mit mehr Verantwortung und mehr Anerkennung.


Ich vermute allerdings, dass die krisenhafte Frage nach dem Sinn auch einen Arzt beschleichen kann, der täglich den Kampf mit dem Tod aufnimmt. Oder den Manager an der Spitze eines großen Unternehmens, dessen Entscheidungen sich auf Tausende von Mitarbeitern auswirken. Oder den Blauhelmsoldaten in einem Krisengebiet, der für die Einhaltung von Friedensabkommen sorgen soll.


Jeder Mensch erlebt, dass er an seine Grenzen kommt bei dem, was er tut. Die Hausfrau scheitert an den geheimnisvollen Gesetzmäßigkeiten des Chaos, der Arzt am fortgeschrittenen Stadium einer Krankheit, der Manager an den Bedingungen der freien Marktwirtschaft und der Blauhelmsoldat an der hasserfüllten Entschlossenheit der feindlichen Kräfte, sich gegenseitig Schaden zuzufügen. Je bedeutender die Aufgabe, desto vernichtender und absoluter der Fehlschlag.


Darum glaube ich, dass das, was wir tun, nur bedingt gewährleisten kann, dass wir unser Leben als sinnvoll und erfüllt ansehen. Wie bedeutend meine Augenblicke sind, scheint mir mehr von meinen inneren Voraussetzungen abzuhängen als von den äußeren. Ich will keineswegs bestreiten, dass es Tätigkeiten gibt, die befriedigender und spannender sind als andere, und sicher ist es richtig, sich darum zu bemühen, dass man etwas tut, was den eigenen Begabungen und Fähigkeiten am besten entspricht. Doch das Leben, das mehr ist als Arbeit, Schlaf und Essen, fällt mir damit nicht automatisch zu.


Die Gewissheit, dass sich mein Leben lohnt und dass ich eines Tages froh und versöhnt darauf zurückschauen kann, hat für mich viel mit der Freude und Wonne vor Gottes Angesicht und zu seiner Rechten zu tun, von denen in diesem Psalmvers die Rede ist. Was ich bin, bin ich vor Gott. Er entscheidet darüber, wie bedeutsam mein Leben ist. Wenn ich darin ruhe, dass Gott mich ins Leben geliebt hat, dass ich gewollt und wertvoll bin, weil er mich geschaffen hat, dann gibt das meinem Leben eine so sinnvolle Grundlage wie nichts anderes. Der Pfad zum Leben ist kein Tun, sondern ein Sein.


In den Briefen im neuen Testament begegnen uns Sklaven, die zum Glauben gekommen sind. Obwohl Paulus an anderer Stelle davon spricht, dass es in Christus keine Sklaven und Freien mehr gibt (Galater 3,28), fordert er sie nicht auf, gegen ihren Stand aufzubegehren, sondern rät ihnen, ihren Herren auch in Zukunft gut zu dienen. Er bezeichnet sie als "Freigelassene des Herrn" (1. Korinther 7,22). Sie können in den Augen der Menschen bedeutungslos bleiben und trotzdem neue Menschen in Christus sein. Sie können weiterhin tun, was andere ihnen diktieren und wofür sie kein Geld bekommen, und trotzdem das Leben in seiner ganzen Fülle haben.

Und die wirklich bedeutsamen Leute, die Manager und Chefärzte und Regierungspräsidenten, sind, wenn sie zu Jesus gehören, nichts anderes als "Sklaven Christi" (1. Korinther 7,22). Sie mögen mehr Ansehen genießen und mehr gesellschaftlichen Einfluss haben als "kleine Leute", doch in Gottes Reich nehmen sie deshalb keinen Ehrenplatz ein.


Der Weg zu einem sinnvollen, erfüllten Leben steht jedem Menschen offen, unabhängig davon, welche Rolle er im sozialen Gefüge spielt. Das Geheimnis besteht darin, den eigenen Wert nicht davon abhängig zu machen, wie ich mich fühle oder einschätze, sondern davon, was Gott mir zuspricht. Sein Wort der Liebe ist Mensch geworden, damit ich es begreifen kann. Der Tod Christi am Kreuz führt mir vor Augen, wie viel ich ihm bedeute.


Ich stelle mir vor, wie ein Kind auf dem Boden sitzt und vor sich hin spielt. Wenn es darüber nachdenken könnte, würde es vielleicht glauben, es wäre bedeutungslos, weil es im Weltgeschehen keine Rolle spielt. Aber die Mutter sieht lächelnd zu, und für sie gibt es nichts Wichtigeres als ihr spielendes Kind.


So freut sich Gott an mir. Das macht die Augenblicke meines Lebens bedeutungsvoll, das ist mein Pfad zum Leben.

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