Hier streunt er durch die Wälder, erklimmt bizarre Felsformationen und erinnert sich an seinen Freund Vito. Mit ihm unternahm er als Junge waghalsige Kletterpartien, bis Vito bei einem Absturz ein Bein verlor und beide Jungen von der dörflichen Gemeinschaft zu Außenseitern gemacht wurden.
Eine erneute Annäherung an Vito, der noch immer in der Gegend lebt, erweist sich als mühselig. Während der Erzähler an der sprachlosen Last der Vergangenheit trägt, entfremdet er sich seiner Freundin und die alte Heimat bleibt unvertraut. Als das Hochwasser der Elbe ganze Dörfer überflutet und sich der Erzähler mit Vito, Christina, der kleinen Tochter und dem befreundeten tschechischen Ehepaar Jan und Brigitte in ihr Haus zurückzieht, erfahren sie das ganze Ausmaß der Ablehnung durch die Einheimischen. Der Einbeinige, der Zugezogene und der Tscheche können niemals dazugehören.
Der namenlose Ich-Erzähler wirkt völlig in sich selbst versunken, unentschlossen, ziellos, irrt wie in einem Nebel barfuß durch die Natur, gefangen in den Ereignissen der Vergangenheit, fast nicht kommunikationsfähig in der Gegenwart, wie ein Fremder im eigenen Leben. Vieles bleibt vage, nur angedeutet, und der Leser muss sich selbst einen Reim darauf machen.
Episoden aus der Zeit mit Vito wechseln sich ab mit aktuellen Erlebnissen, Begegnungen und Gesprächen. Dabei sind die Schilderungen der Vergangenheit stärker konturiert, während die Gegenwart etwas Schemenhaftes hat. Als Leser bewegt man sich durch den Roman wie durch einen Traum, fasziniert, fragend, ein wenig verloren und voller Hoffnung auf etwas Klarheit und eine Wende am Schluss. Manche Gedankengänge und Schilderungen haben poetische Qualität.
Für mich ein trauriges, literarisch anspruchsvolles Buch über innere und äußere Fremdheit, Schuld und Versöhnung.
Thilo Krause: Elbwärts
Erschienen im Hanser Verlag. Bildrechte: Hanser Verlag.