David, der diesen Psalm geschrieben hat, ist ein mutiger und kampferprobter Mann. Als Hirte lässt er sich kein Schaf von Bären oder Löwen abjagen. Dem Riesen Goliat tritt er unerschrocken entgegen. An der Spitze des israelitischen Heeres feiert er großartige Siege. Um die Königstochter Michal zur Frau zu gewinnen, geht er hin und erschlägt 200 Philister. Später kämpft er erfolgreich gegen die Amalekiter, die Moabiter, die Aramäer und andere feindlich gesinnte Völker.
So mutig und kampferprobt David auch ist, weiß er doch, was es bedeutet, Angst zu haben. Er kennt die Beklemmung, die einem den Atem abdrückt, sich bleiern auf den Magen legt, die Füße und Gedanken lähmt und das Herz zu rasender Höchstleistung antreibt.
In einer Gefahrensituation ist Angst sinnvoll und gut. Die körperlichen Reaktionen haben eine Schutzfunktion und dienen der Lebenserhaltung.
Doch Angst erfasst uns nicht nur, wenn Leib und Leben akut bedroht sind, sondern macht sich auch in anderen Situationen bemerkbar. Manchmal überfällt sie uns ohne Vorwarnung als Panikattacke, manchmal greift sie nach uns, wenn wir über die Zukunft nachdenken. Das Ungewisse und das, was wir nicht kontrollieren können, erfüllen uns mit Schrecken.
Sicherheit ist eines der menschlichen Grundbedürfnisse, doch wenn man es genau betrachtet, haben wir nur den kleinsten Teil unseres Lebens in der Hand, und Unsicherheit lauert überall.
Tag für Tag kann man in der Zeitung lesen, was für tragische Unglücksfälle auf der Welt passieren, und man bekommt fast den Eindruck, dass das eigene Leben an einem seidenen Faden hängt. Selbst wenn man Risiken vermeidet, ist man vor Schaden nicht gefeit. Vor vielen Jahren ist in unserer Stadt ein französisches Kampfflugzeug über einer Wohnsiedlung abgestürzt, hat mehrere Häuser zerstört und einige Menschenleben gefordert. Ich fand das damals erschreckend. Selbst wenn man nur gemütlich in seinem Haus sitzt, ist man nicht sicher!
Schon im alten Weisheitsbuch Kohelet (Kapitel 10) finden sich Verse über lauernde Gefahren bei gewöhnlichen Tätigkeiten: "Wer eine Grube gräbt, kann hineinfallen, wer eine Mauer einreißt, den kann die Schlange beißen, wer Steine bricht, kann sich dabei verletzen, wer Holz spaltet, bringt sich dadurch selbst in Gefahr." Oder, wie es Erich Kästner launig formuliert: "Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich."
Die Anfälligkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens ist eine beängstigende Tatsache.
Wenn ich nun aber ständig in dem Bewusstsein und der Erwartung lebe, dass mir etwas zustoßen könnte, lebe ich im Grunde nur noch mit halber Kraft. Es ist wie beim Schlittschuhlaufen - wenn ich mich darauf verlasse, dass das Eis hält, gleite ich mühelos und elegant darüber. Zweifle ich an seiner Festigkeit und prüfe jeden Meter, bevor ich den Fuß darauf setze, komme ich nicht vorwärts und habe keine Freude daran.
So geht ein großer Teil meiner Energie verloren, wenn ich mich innerlich vor allen Eventualitäten absichern will - und ich mache einen doppelten Fehler: Zum einen kann ich auf diese Weise so gut wie nie verhindern, dass mich oder meine Lieben ein Unglück ereilt.
Zum anderen beschwöre ich durch meine Denk- und Lebensweise sogar möglicherweise das Unheil erst herauf. In der Psychologie spricht man von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen - durch meine ängstliche Haltung leiste ich unter Umständen gerade den Ereignissen Vorschub, die ich unbedingt vermeiden möchte.
Vom Wortstamm her ist Angst verwandt mit Enge. Sie schnürt mir die Kehle zu, verengt meinen Blickwinkel, schränkt meinen Lebensraum ein. Sie hält mich gefangen in einer Abstellkammer und ich kann nur davon träumen, frei und mutig zu sein.
Aber: "Du hast mir Raum geschaffen", sagt David in diesem Vers. Wie kann das geschehen?
Im Hebräerbrief (1,3) steht, dass das ganze All durch das machtvolle Wort Jesu gehalten wird. Das bedeutet, mein Leben ist nicht einem planlosen Schicksal ausgeliefert, sondern es wird getragen vom Schöpfer der Welt. Ich sehe: Meine Abstellkammer ist von innen verschlossen und der Schlüssel dazu ist das Vertrauen, dass ein guter Wille über mir wacht.
Die Welt mag mir bedrohlich erscheinen, aber ich hab einen an meiner Seite, der größer ist als die Welt. So kann ich über die Angst hinaussehen - was auch kommt, ich werde mich in Gottes Hand wieder finden. "In der Welt seid ihr in Bedrängnis", sagt Jesus, "aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt." (Johannes 16,33)
Ich kann aufatmen, große Schritte machen, übers Eis gleiten, tanzen - Gott schafft mir Raum.